Kooperationschancen mit den Veränderern der moldauischen Mittelschicht

Hans-Gerd Spelleken

Der Autor ist Inhaber von Spelleken Assoc. Die in Alzenau Ufr. ansässige entwicklungspolitischen Projektentwickler beschäftigen sich seit über zwanzig Jahren mit dem Land. Hans-Gerd Spelleken gründete das Unternehmen nach einem längeren Auftrag in Chisinau mit dem Vorsatz, kaum bekannte Volkswirtschaften als Partner für die deutsche Wirtschaft aufzubauen.

„Früher habe ich mich weitgehend mit steuerfinanzierten Projektformen befasst. Heute glaube ich, dass Selbsthilfe durch Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig abgesichert wird. Denn die deutsche Wirtschaft ist heute weiter als vor dreißig Jahren, viele Mittelständler sehen die Risiken und Verwerfungen in Europa und der Welt. Geeignete Projektformen sind öffentlich-private Partnerschaften und  andere unbürokratische Ansätze. Allerdings müssen Klischees des Paternalismus und der Arroganz überwunden werden. Gerade Moldau zeigt, dass man mit den normalen Bürgern sehr gut arbeiten kann.“

Moldau ist besser als unser Bild davon

Das Dilemma Moldaus fängt mit dem Namen schon an: Ist es nun das rumänisch-stämmige, politisch korrekte Moldau oder das tradierte, russisch dominierte Moldawien? Und in unseren Köpfen geht es weiter: Ist es ein neues, kulturell schillerndes und vielsprachiges europäisches Partnerland, oder ist es ein kleiner, vernachlässigenswerter Problemfall zwischen Rumänien und der GUS?

Wir wiederholen die Fehler der Vergangenheit. Haben wir in der Ukraine zulange eine eigenständige Entwicklung aus der russischem Brille angezweifelt, so sollten wir dem neuen Moldau heute längst eine Chance geben. Mit seinen stets EU-freundlichen Mehrheiten in Wahlen seit 2009 ist das Land eine schöne Gelegenheit, angemessenen Utopien Raum zu lassen wie dem großartigen Moldotopia von Ecovisio von Valeria und Julian Gröger.

Verwaltungsschwächen durch Lokalisierung umgehen

Vorsicht und Skepsis sind geboten gegenüber Regierung und Verwaltung in Moldau. Denn die Sowjetunion hat trotz mancher Errungenschaft eine mutlose Bevölkerung hinterlassen, die kaum die Kraft zur Opposition und zum neuen Aufbruch mitbringt. Entsprechend haben sich Oligarchie und Zynismus eingenistet bis zur beispiellos kriminellen Bankenkrise von November 2014.

Unsere Reisen in die Schulen und Fachinstitute im ganzen Land sprechen eine andere Sprache. Die Menschen mit ihren Familien, ihren Berufen und ihren täglichen Zielen ticken wie im Rest Europas. Es gibt nicht nur Aufgabendisziplin und Begeisterungsfähigkeit für aktuelle Ziele wie die Modernisierung der Berufsbildung oder die Entwicklung von Wirtschaftsvorhaben. Die lokalen Institutionen leisten auch ihren Dienst am Land. Mit geringen Gehältern von ca. netto 200 € halten Lehrer, Polizisten, Krankenschwestern und viel andere  eine Leistungsstruktur vor, die funktioniert. Hier sind wir durch Schwarz-Weiß-Wahrnehmungen von Korruption und Vetternwirtschaft einerseits und eloquente, vielsprachige Professionals, die wir in unseren teuren Projekten als Assistenten beschäftigen und alimentieren, blockiert bis zur Borniertheit.

Die Mittelschicht ist arbeitsfähig

Dass die Mittelschicht in Chisinau und den Landkreisen arbeitet, das zeigen die Projekte der Bildungspartnerschaft. Deutsche Mittelständler wie die teamdress Stein GmbH, Hamburg, die Viessmann Werke GmbH & Co. KG, Allendorf, oder die Kuntschar & Schlüter GmbH, Wolfhagen, unterstützen moldauische Berufsschulen bei der Modernisierung der Ausbildung junger Menschen.

Die entsprechenden Projekte RomTexTrain, GazTrain und BioTrain wurden zwischen den moldauischen Partnern und Spelleken Assoc. mit Hilfe der bundesdeutschen SEQUA, Bonn, entwickelt. Sie adressieren das Verhältnis zwischen Berufsbildung und Arbeitgebern mit dem Ziel, neue Lösungen der Produktion, der Energieeffizienz und der Energiewende in die jungen Köpfe des Landes zu bringen.

Schulleiter wie Frau Ludmila Petrusanu vom Colegiu Profesional in Hincesti führen nicht nur eine ganze Schule unter für uns undenkbaren Bedingungen. Sie absolvieren auch noch ein Aufbaustudium in Verwaltungswissenschaft und sind neugierig auf moderne Herausforderungen. Frau Petrusanu bringt die Solidität moldauischer Bildungsplanung, die Dynamik einer öffentlichen Managerin und den Esprit einer modernen Frau ein. Auf der Arbeitsebene in Moldau geht vieles besser als in der alten EU, wir müssen unsere Projekte aber dafür öffnen.

Förderformate modernisieren

Auch der Gazprom-Institutsleiter Iurie Truhin oder der Ökocollege-Direktor Alexandru Marit sind solche Macher. Halb Politiker und halb Pragmatiker, wissen sie die notwendigen Veränderungen im Geiste gelebter öffentlich-privater Partnerschaften zu pushen.

Vorurteilslos in die europäische Zukunft denken, Verwaltungsformate zugunsten menschlicher Fortschritte hintanstellen und projektorientiert Veränderungsprozesse selbst gestalten – das können solche Moldauer besser als wir Deutschen, die nur gut alimentierte Veränderungsprozesse kennen.

Während meiner gut dotierten Zeit für die gemeinnützige deutsche Entwicklungszusammenarbeit Ende der 90er Jahr konnte ich gut reden über die Herkulesaufgabe mutiger Projektarbeit in Moldau. Heute sind aber die lokalen Veränderer mein Vorbild: und zwar genau die, die ohne üppige Alimentierung eine Vision für ihr Land entwickeln.

Wir müssen unsere Förderformate radikal überdenken. Statt Multimillionen in orthodoxe Programme zur Verwaltungsreform und die Regionalisierung sog. Ausschreibungen zu stecken, so sollten wir Basisprojekte mit Marktnähe und Investitionsimpulsen bevorzugen. Besser als einhundert arrogante Experten sind eintausend lokale Veränderer in den Schulen, den Krankenhäusern und den vielen funktionierenden Einrichtungen in Moldau. Moldau ist Europa, und wir sollten anfangen, es schon jetzt ernst zu nehmen.

Hans-Gerd Spelleken

www.spellekenassociates.de